Tagebucheinträge einer Teilnehmerin der Gedenkstättenfahrt zum Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz vom 12.06.2023-16.06.2023
"Wir werden hier wieder rausgehen können."
Ein Satz, der mich in jeder Sekunde und mit jedem Schritt, den ich während der Besichtigung des Konzentrationslager Auschwitz tat, begleitete. Es ist ein Satz, den eine Freundin zu mir sagte, als ich emotional das Gefühl hatte, weiter kann ich nicht mehr. Dieser Satz brachte die bittere Realität und das bedeutet nicht, dass die Realisation auch kam. Ich kann nicht wirklich sagen, ob das, was ich die letzten Tage, eine Achterbahn an Gefühlen, bei welcher es mehr Tiefs als Hochs gab, wirklich realisiert habe. 'Alles scheint so unwirklich, als wäre man in einem Traum, welcher aber schreckliche Realität ist.
"Wir haben Haare auf dem Kopf."
Es ist ein einfacher Satz und trotzdem steht soviel dahinter. Menschen die nicht der Norm der Nationalsozialisten entsprachen, wurden entmenschlicht. Ihnen wurde ihre Wertsachen, ihre Kleidung, ihr Name, ihr Gesicht, ihre Geschichte, ihre Würde genommen. Bei diesem Prozess wurde ihnen auch der Kopf geschoren. Das zu sehen, so viele Jahre später, wie Menschen auf brutalste Weise erniedrigt und behandelt wurden, nur weil sie Menschen waren, die aus nationalsozialistischer Sicht falsch waren, hat es erdrückend real gemacht, dass wir so wie wir gekommen sind auch wieder gehen dürfen. Hinter diesem einfachem Satz steckt so gigantisch viel mehr, als nur Haare. Es sind Leben, die von den Nazis ausgerottet wurden.
"Es konnten nicht alle Namen rekonstruiert werden."
Bei unserem Besuch in Auschwitz I, dem Stammlager, sagte unsere Tourleiterin diese Worte zu uns und das bevor wir den Raum mit den Namen betraten. Ich weiß nicht, was ich erwartet habe, aber tausende Seiten, welche zwischen Metallstreben gespannt waren und dadurch ein 20 Schritte
langes Buch wurden, mit der Schriftgröße eines normalen Dudens, sicherlich nicht. Um die 4 Millionen Namen der ermordeten Menschen konnte man wiederherstellen, 4 Millionen konnte man zumindest ihren Namen zurück geben. 2 Millionen Menschen, mit Geschichten, mit einem Leben sind bis heute namenlos. Wir standen lange in diesem Raum und trotzdem konnte man nur ein Bruchteil der Namen lesen. Und trotzdem konnte ich nicht mehr für diese Menschen tuen, als leise ihre Namen zu flüstern.
"Sie war höchstens drei"
In einen Raum waren Fotos der Selektion gezeigt. Es waren nicht viele, doch sie wurden in lebensgröße ausgestellt. Auf einem Bild war eine Mutter mit ihrem zwei bis dreijährigen Kind abgebildet. Das kleine Mädchen schaute aus dem Foto heraus. Sie schaute mich an, nicht wissend, dass sie gerade auf dem Weg zu den Gaskammern war. Sie sah nicht verängstigt aus und doch sah man ihr an, dass ihr die Situation nicht geheuer war. Dieses Mädchen, mit all ihren Träumen und Wünschen, war auf dem direktem Weg in den Tod. Sie war noch nicht lange auf der Welt, hatte wahrscheinlich nur einen geringen Bruchteil der Schönheit dieser Erde erst gesehen und ihr wurde, für's Mensch sein, das Recht auf ein Leben abgesprochen. Sie war höchstens drei.